Von Ann-Seline Fankhauser und Marina Bressan
Chantal Marquart ist Projektmitarbeiterin bei START! Studium – ein Integrationsvorkurs für geflüchtete Personen an der Universität Zürich. START! Studium bietet Geflüchteten die Möglichkeit, als Gasthörer*innen an Vorlesungen teilzunehmen. Zudem werden sie mit Sprach- sowie beispielsweise IT-Kursen spezifisch gefördert und mit individueller Beratung und Begleitung auf ein reguläres Studium vorbereitet. Das Projekt wird unterstützt durch den Integrationskredit des Bundes (SEM), die Fachstelle Integration des Kantons Zürich und private Stiftungen.
Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat Chantal Marquart die Wirkung des Vorgängerprojekts an der UZH, dem Schnupperprogramm für Flüchtlinge und eines zweiten Projekts in Genf, Horizon Académique, auf die Integration von Geflüchteten untersucht. Dafür hat sie Daten von Personen gesammelt, die zwischen 2016 und 2019 an den Projekten teilgenommen haben. Einige Punkte, die sie in ihrer Forschungsarbeit kritisch analysiert, wurden für das Projekt START! Studium und auch im Genfer Projekt Horizon Académique mittlerweile entsprechend angepasst. Im Interview nimmt Chantal Marquart Stellung zu den Ergebnissen ihrer Arbeit “Do Refugee Programs at Swiss Universities foster Integration and Mental Health? An Explorative Study”.
Chantal, du engagierst dich seit einigen Jahren beruflich im Schnupperprogramm für Flüchtlinge an der Universität Zürich. In deiner Masterarbeit gehst du der Frage nach dem Zusammenhang einer Projektteilnahme und der Integration sowie der psychischen Gesundheit nach.
Weshalb ist diese Fragestellung von Relevanz?
Als Antwort auf die sogenannte «Flüchtlingskrise» und die fehlenden Integrationsangebote für studieninteressierte Geflüchtete sind in der Schweiz seit 2016 an verschiedenen Hochschulen Programme für Geflüchtete entstanden. Diese bieten die Möglichkeit, ein Studium in der Schweiz kennenzulernen. Die Programme sind als Integrationsangebote konzipiert. Einige legen den Fokus eher auf die soziale Integration, andere auf die akademische Integration, etc. Zur Wirkung dieser Programme auf die Integration der Teilnehmenden gibt es erst sehr wenige Studien. Für die Verbesserung, Verstetigung und Akzeptanz dieser Programme sind Informationen über ihre Wirksamkeit aber von Bedeutung und hier wollte ich mit meiner Masterarbeit einen Beitrag leisten. Bestehende Studien weisen weiter darauf hin, dass sich Bildungs-Integrationsprogramme positiv auf die psychische Gesundheit von Geflüchteten auswirken können. Deshalb war es mir ein Anliegen, zu untersuchen, ob diese Beobachtung auch auf die Integrationsprogramme an Schweizer Hochschulen zutrifft.
Für die Studie wurden ehemalige Bewerbende (Teilnehmende und Nicht-Teilnehmende) der Förderprogramme Schnupperprogramm für Flüchtlinge an der Universität Zürich und Horizon Académique der Universität Genf befragt.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die aus der Studie hervorgehen?
Wie erwartet wiesen die Teilnehmenden gegenüber den Nicht-Teilnehmenden höhere Integrationswerte auf. Integration wurde dabei als Index gemessen. Der Index bestand aus verschiedenen Teilaspekten, wie z.B. wirtschaftliche Integration oder sprachliche Integration. Positiv zeigte sich besonders der Zusammenhang zwischen Programmteilnahme und sprachlicher Integration. Das bedeutet, dass die Sprachkenntnisse der Teilnehmenden zum Umfragezeitpunkt – ungeachtet anderer Faktoren – höher waren als diejenigen der Nicht-Teilnehmenden. Das liegt einerseits daran, dass die Teilnehmenden während des Schnupperprogramms Sprachkurse besuchen können. Andererseits sind gute Sprachkenntnisse teilweise auch ein Zulassungskriterium. Die Teilnehmenden wiesen deshalb wahrscheinlich schon zum Selektionszeitpunkt bessere Sprachkenntnisse auf als Nicht-Teilnehmende. Das zeigt: Die höheren Integrationswerte der Teilnehmenden hängen nicht immer in erster Linie mit der Programmteilnahme zusammen. Als weiterer wichtiger Indikator für den Integrationserfolg erwies sich beispielsweise der Aufenthaltsstatus. Vorläufig Aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge waren wirtschaftlich, akademisch und sprachlich deutlich besser integriert als Asylsuchende, die sich noch im Asylprozess befinden und deren Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Integrationsprogrammen deshalb stark eingeschränkt ist.
Aus der Wirkungsanalyse 2016-2019 von Perspektiven – Studium geht hervor, dass die lokalen Hochschulprojekte für Geflüchtete in Bezug auf den Spracherwerb und die soziale Integration von geflüchteten Teilnehmenden von grosser Bedeutung sind. Gemäss Aussagen von Projektteilnehmenden ermöglichen die Programme Begegnungen auf Augenhöhe, eine sinnvolle Beschäftigung, als Studierende wahrgenommen zu werden, eine Alltagsstruktur zu haben etc.
Liesse sich hier ein Zusammenhang zur psychischen Gesundheit / zur mentalen Verfassung von Geflüchteten ableiten?
Das könnte ich mir sehr gut vorstellen. Die Ergebnisse meiner explorativen Studie bestätigen diese Vermutung aber nicht. Die Teilnahme an den beiden Programmen scheint (leider) keinen Einfluss auf die psychische Verfassung der Teilnehmenden zu haben. Allerdings habe ich mit einer kleinen Stichprobe gearbeitet und beschränkte mich nur auf die Projekte in Genf und Zürich. Problematisch in meiner Studie ist auch die Selbstselektion der Umfrageteilnehmenden. Es kann also gut sein, dass künftige Studien zu einem anderen Schluss kommen werden.
Was sollten deiner Meinung nach die Ansprüche akademischer Förderprogramm hinsichtlich der Integration von Geflüchteten sein?
Der Integrationsprozess ist sehr komplex, weil er die Zusammenarbeit vieler verschiedener Akteur*innen erfordert. Das sind nicht nur die Hochschulen und die studieninteressierten Geflüchteten selbst, sondern beispielsweise auch Sozialdienste oder Stipendienstellen. Deshalb ist es meines Erachtens entscheidend, dass akademische Förderprogramme versuchen, sich in die kantonalen Integrationsstrategien einzugliedern und studieninteressierte Geflüchtete auf eine Aus- oder Weiterbildung auf Tertiärstufe vorzubereiten.
Eine Empfehlung deiner Arbeit ist, dass über eine Programmaufnahme primär das Potential von geflüchteten Bewerber*innen und nicht ausschliesslich die Vorbildung entscheiden sollte.
Wie kommst du zu diesem Schluss? Und was bedeutet ein solches Vorgehen für die Praxis?
In meiner Analyse hat sich Vorbildung als nicht-signifikant betreffend Integrationserfolg erwiesen. Das ist sehr interessant, weil die Vorbildung bei sämtlichen Programmen ein wichtiges Aufnahmekriterium darstellt. Vielleicht wird der Vorbildung zu viel Gewicht beigemessen und Motivation, Wille und die gute Zusammenarbeit aller involvierten Akteure sowie das Potential der Bewerber*innen sind wichtiger für den Integrationserfolg?
Da ich mit einer kleinen Stichprobe gearbeitet habe, müssen meine Erkenntnisse jedoch mit Vorsicht genossen werden. Für mich ist aber klar, dass für eine erfolgreiche (akademische) Integration sehr viele Faktoren zusammenspielen müssen und dass Integrationswege oder spezifischer, Wege zu einem Studium sehr individuell sein können.
Interessieren Sie sich für die Forschungsarbeit? Melden Sie sich direkt bei Chantal Marquart.
Eine Übersicht über alle Projekte, die Geflüchtete an Schweizer Hochschulen unterstützen, finden Sie hier.